Uralte Buchen und noch ältere Steine

Ein Spaziergang um den Wockninsee und in den Usedomer Gesteinsgarten

Es ist eines der verstecktesten Fleckchen wundervoller Natur in den Bernsteinbädern und es ist eines der märchenhaftesten. Denn wie im Märchenwald fühlt man sich, wenn man durch das raschelnde Laub uralter Buchen am Wockninsee hinter dem Ückeritzer Campingplatz spazieren geht. Die Sonne fällt in Glitzerspots durch das dichte Blätterdach. Es sieht aus, als hätte der weich federnde Waldboden Sommersprossen. Im Herbst ist es besonders schön. Denn dann hat sich der Wald in seine bunteste Schale geworfen. Doch egal zu welcher Jahreszeit – Wer stille steht, kann sie hören, die vielen Geräusche, die so ein Wald von sich gibt. Das Zirpen, Quaken und Zwitschern ringsum ist wie ein kleines Konzert, das einem unsichtbaren Konzertmeister gehorcht.

Doch hübsch der Reihe nach. Wer das wunderschöne Natur-Kleinod Wockninsee entdecken möchte, dem sei empfohlen, das Auto auf dem Parkplatz des Forstamtes Neu Pudagla abzustellen und sich auf der anderen Seite der Hauptstraße zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf in den Wald zu machen. Schilder mit einem grünen Schrägbalken weisen dem Naturliebhaber den Weg zu eben jenem urigen Strandsee. Von hohen Farnen links und rechts gesäumt, schlängelt sich der Pfad an 400 Jahre alten Buchen und Eichen vorbei. So manch stattliches Exemplar hat hier gar einen Umfang von vier Metern. Im Mittelalter wurde der Wald zur Eichelmast von Schweinehirten als Weide für das liebe Vieh genutzt.

Weiter geht’s vorbei an Lärchen und anderen nadeligen Verwandten bis zu einem kleinen Aussichtsturm. Hier findet man nicht nur Informationen über den 15 Meter tiefen, aber verschlammten Moorwassersee, sondern auch den einzigen freien Blick auf seine Oberfläche. Denn das älteste Naturschutzgebiet der Insel ist ansonsten rundherum zugewachsen.

Sumpfschildkröten und Kraniche fühlen sich in dem 56 Hektar großen Schwingmoor genauso zuhause wie Haubentaucher, Fledermäuse, Moor- und Grasfrösche. Ein dichter Schilfgürtel schützt die Tiere vor zu neugierigen Blicken. Eine versteckte Idylle, die Ruhe und Geborgenheit für die tierische Familienplanung bietet. Auch Fleischfresser wie das Echte Fettkraut oder der Sonnentau wachsen hier – zwei Pflanzen, die auf der Roten Liste der gefährdeten Arten stehen. Im Wald befinden sich entlang des Weges gewaltige Stämme umgestürzter Bäume. Doch nicht aus Nachlässigkeit liegen sie noch Jahre nach ihrem Ableben kreuz und quer in der Gegend herum. Sie werden als Insektenhotels, Krabblerbuffet und Wasserspeicher absichtlich dort belassen.

Immer schön auf den Wegen bleiben. Denn gerade an den Randgebieten ist so ein Moor am gefährlichsten. Knapp zweieinhalb Kilometer lang ist der Naturlehrpfad um den See herum. Auch mit dem Kinderwagen ist er gut zu bewältigen. Zweimal im Jahr – am 11. Mai 2022 und am 7. September 2022 wieder – bieten die Revierförster von Neu Pudagla Führungen um den See an, die den angrenzenden Campingplatz miteinschließen.

Wer nach dem Wockninsee mit seinen uralten Bäumen noch nicht genug von der Natur hat, kann sich beim Forstamt noch ältere Naturexemplare anschauen. In einem im Jahre 2000 angelegten Gesteinsgarten kann man direkt neben dem Forstamt die ältesten, schwersten und am weitesten gereisten Dauerbesucher der Insel antreffen. Die knapp 140 verschiedenen Gesteine, die hier zusammengetragen oder besser gesagt mit schwerem Gerät zusammenbefördert wurden, bilden in der Welt der Geologen eine der vollständigsten Sammlungen aller Gesteinsarten, die es gibt. Und sie alle wurden während der Eiszeit vom riesigen Gletscherschild hierhergeschoben und nach seinem Rückzug einfach auf Usedom vergessen.

Da gibt es Steine aus Dänemark und Schweden, von der Insel Bornholm, von Öland und von der Insel Gotland. Und wer genau hinsieht, findet sogar welche aus Finnland oder aus den Tiefen der Ostsee selbst. Die Senioren unter ihnen sind mit ihren zwei Milliarden Jahren halb so alt wie die Erde. Sie haben nicht nur die gigantischen Farnurwälder erlebt und überlebt, sondern auch die Dinosaurier. So manches Lebewesen hat seine Spuren auf ihnen hinterlassen. Abdrücke von Ammoniten und Belemniten, Muscheln und Korallen sind beredte Zeugen uriger Zeiten. Da kommt man sich als Mensch mit nicht einmal einem Jahrhundert Lebenszeit doch sehr, sehr jung vor.

Ein Spaß ist es, den schwersten Gesellen unter den Schwergewichten ausfindig zu machen. Kleiner Tipp: Er wiegt schlappe 11,4 Tonnen. Zweimal so viel wie Manni, das Mammut.

Nach so vielen Eindrücken ist das Loch im Magen mindestens genauso groß wie ein Mammut. Einen leckeren Snack-Abschluss für dieses Naturerlebnis finden Hungrige und Appetitfreudige an Lutz Hafenimbiss im kleinen Naturhafen Stagnieß. Nur ein paar Minuten vom Forstamt entfernt, wird hier Einfaches mit Pfiff, Qualität und Liebe kredenzt. Ob Kartoffelpuffer mit Lachs, Fish and Chips oder die Currywurst mit selbstkreierter Soße – mit Blick auf die Segelboote sind Lutzens Leckereien gleich nochmal so köstlich. Zur Verdauung einfach die Füße in einem der Liegestühle ausstrecken. Das Leben kann so schön sein. „Hier sind schon viele Rastler zu Wiederholungstätern geworden“, weiß Imbiss-Betreiber Lutz Bremerkamp.

Text: Sandra Grüning - Textwerkstatt Küstenkind

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